Herz der Finsternis by Joseph Conrad

Herz der Finsternis by Joseph Conrad

Autor:Joseph Conrad [Conrad, Joseph]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-30T05:00:00+00:00


3

Ich sah ihn starr vor Staunen an. Da stand er vor mir in buntscheckigem Anzug, als wäre er einer Gauklertruppe davongelaufen – begeistert, fabelhaft. Sein Dasein allein schon war unwahrscheinlich, unerklärlich und gänzlich verwirrend. Er war ein unlösbares Rätsel. Man vermochte sich nicht vorzustellen, wie er sein Leben gefristet hatte, wie es ihm gelungen war, so weit zu kommen, wie er sich hatte halten können – warum er nicht auf der Stelle vom Erdboden verschwunden war. ›Ich ging ein bißchen weiter‹, sagte er, ›dann noch ein bißchen – bis ich so weit vorgedrungen war, daß ich nicht mehr wußte, wie ich je wieder zurückkommen sollte. Gleichviel. Habe ja Zeit in Hülle und Fülle. Schaffe es schon noch. Sie müssen schnell Kurtz fortbringen – schnell, rate ich Ihnen.‹ Der Zauberglanz der Jugend umstrahlte seine bunten Fetzen, seine Armut, seine Einsamkeit, die innerste Trostlosigkeit seiner Wanderungen. Monatelang – jahrelang – war sein Leben keinen Deut wert gewesen: und da stand er, tapfer, sorglos lebendig, allem Anschein nach unzerstörbar dank seiner jungen Jahre und seiner bedachtlosen Verwegenheit. Ein Gefühl der Bewunderung drängte sich mir auf – etwas wie Neid. Der Zauber trieb ihn vorwärts, der Zauber ließ ihn unversehrt. Sicherlich begehrte er von der Wildnis nichts als Raum, um zu atmen und weiter vorzudringen. Er hatte das Bedürfnis, zu leben und unter den größtmöglichen Gefahren, den höchsten Entbehrungen vorwärtszukommen. Wenn der vollkommen reine, unberechnende, unpraktische Geist des Abenteuers je ein menschliches Wesen beseelt hat, dann bestimmt diesen Jungen im Flickenrock. Ich beneidete ihn fast um den Besitz dieser bescheidenen und klar leuchtenden Flamme. Sie schien alle Gedanken an ihn selbst so vollständig aufgezehrt zu haben, daß man, sogar wenn er mit einem sprach, vergaß, er selbst – der Mann, der da vor einem stand – sei es gewesen, der all dies durchgemacht. Um seine Ergebenheit für Kurtz beneidete ich ihn allerdings nicht. Er hatte nicht über sie nachgedacht. Sie war in ihm gewachsen, und er hatte sie mit einer Art von eiferndem Fatalismus hingenommen. Ich muß sagen, sie schien mir in jeder Hinsicht das Gefährlichste, das ihm bisher zugestoßen war.

Das Zusammentreffen der beiden war unvermeidlich gewesen, wie das zweier nicht weit voneinander in Windstille treibender Schiffe, und schließlich hatten sie Seite an Seite gelegen. Vermutlich brauchte Kurtz einen Zuhörer, denn bei einer bestimmten Gelegenheit, als sie im Walde lagerten, hatten sie die ganze Nacht hindurch miteinander geredet, oder – was wahrscheinlicher ist, hatte Kurtz geredet. ›Wir sprachen über alles‹, sagte er ganz hingerissen von der Erinnerung. ›Ich vergaß, daß es noch so etwas wie Schlaf gab. Die Nacht schien kaum eine Stunde zu währen. Über alles! Alles … Auch über die Liebe.‹ ›Ah, er sprach zu Ihnen über Liebe!‹ sagte ich sehr belustigt. ›Ja, im allgemeinen. Er ließ mich Dinge sehen – Dinge!‹

Er warf beide Arme hoch. Wir waren inzwischen an Deck hinausgegangen, und der Häuptling meiner Holzfäller, der in der Nähe herumlungerte, richtete seine schweren und glitzernden Augen auf mich. Ich blickte mich um, und ich weiß nicht, warum, doch ich versichere



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